Zen ist unfassbar

Mit unserer logischen Denkweise ist es vollkommen unmöglich, unser ursprüngliches wahres Wesen zu ergründen. Deshalb halten wir im Zen nichts von abstrakten Erklärungen und mühseligen Debatten. Alle Philosophien sind nur verstandesmäßige Spekulationen. In den Augen der alten Zenmeister waren alle buddhistischen Schriften nur wertloses Papier.

Zen zeichnet sich durch Unabhängigkeit aus und lässt sich nicht durch weitschweifige Erörterungen verstehen. Es ist stets von erfrischender Direktheit, ohne alles übliche Drum und Dran, und somit eine Sache der reinen Erfahrung. Zen will unsere Verhaftungen an Worte und unsere konditionierte Vorstellung von Körper, Geist und Welt zerstören, damit wir aus dem Traum von Geburt und Tod erwachen. Zen ist unfassbar, es erhebt sich über jede Logik des sogenannten gesunden Menschenverstandes und wendet sich unmittelbar an die Intuition des Menschen.

Deshalb bleibt es für denjenigen unverständlich und rätselhaft, der glaubt, Zen ausschließlich mit seinem Verstand erfassen zu können. Aber da wir Menschen in unserem blinden Vertrauen auf unseren Verstand alles mit dem Kopf machen wollen, haben wir uns den Zugang zur Erkenntnis jenseits aller Worte selbst verbaut. Hinter jeder Antwort, die wir mit den Mitteln des unterscheidenden begrifflichen Denkens gefunden haben, erhebt sich eine neue Frage.

Das Unterwegssein ist das Ziel

Und je mehr wir auf das Ziel zugehen, umso mehr entfernen wir uns von ihm. Deshalb hat Zen auch kein Ziel, sondern verfolgt nur eine Richtung: Denn im Zen ist der Weg, das Unterwegssein das Ziel. Auf dem Weg des Erwachens zu unserem wahren Selbst, geht es vor allem darum, dass wir uns von dem verselbständigten, unterscheidenden Denken befreien, dass wie dunkle Wolken unser wahres Wesen verhüllt. Wir könnten unser wahres Wesen sofort in diesem Augenblick erfahren, aber wir können es deshalb nicht, weil unser Bewusstsein nicht im Augenblick verweilen kann, weil unsere Gedanken ständig weiter wandern.

Wir neigen im allgemeinen dazu, scheinbar einleuchtende Fragen zu stellen und uns unwirrbar in diese zu verstricken. Solange wir uns nur auf unseren Verstand verlassen, haben wir keine Möglichkeit diesem Teufelskreis zu entrinnen. Deshalb heißt es im Zen: Lass alles hinter dir, wirf deine vorgefassten Anschauungen fort und erkenne die Dinge so, wie sie sind.

Man sollte wirklich alles hinter sich lassen, selbst die buddhistische Richtung, der man sich zugehörig fühlt. Man braucht für den Zen-Weg und die Meditation nichts Äusseres! Keinen Dojo, keine Buddha-Bilder, keine Räucherstäbchen, kein Sitzkissen, keine Mönchsrobe und keinen kahl geschorenen Kopf – dies ist alles nur Anhaftung und eine Hürde auf dem Weg. Dein Dojo ist genau da, wo Du gerade stehst, und Dein Meditationsplatz ist genau unter Deinen Füssen – lass Dein gesamtes Leben Meditation sein, bei jedem Schritt.

Es mag für Anfänger einen gewissen Reiz haben, seltsame ostasiatische Riten zu erleben, Weihrauch zu riechen und sich vor einer Buddha-Statue zu verbeugen – aber das hat Buddha alles nicht so gewollt und nicht dazu geraten! Buddha wollte keine Religion gründen; im Gegenteil, er betonte die Nutzlosigkeit religiöser und ritueller Übungen.

Vieles ist nur schöner Schein

Rituale, Kleidung, Klanginstrumente, die im Laufe der Geschichte in Zen-Klöstern des Fernen Ostens eingesetzt wurden, spielen heute bei uns im Westen noch eine wichtige Rolle und verdecken oft das Wesentliche. Manche Zen-Meister haben dies schon erkannt und als Dualität und Anhaftung entlarvt.

Tradition ist wertvoll, aber wenn versucht wird, die Tradition einer fremden japanischen oder buddhistischen Kultur in unsere westliche Kultur eins zu eins zu übernehmen, kann dies nur bedingt funktionieren. Die Umsicht des „mittleren Weges“ sollte auch hier gelten. Wir versuchen, den eigenen westlichen Wurzeln und den damit verbundenen Lehren treu zu bleiben und trotzdem die östliche Weisheit weiterzugeben.

Das, was wir bei unseren Meditationsabenden an Riten, Instrumenten und Funktionen übernommen haben, dient hauptsächlich der Orientierung und ist relativ stark reduziert. Aber wir müssen darauf achten, dass die Form nicht zum Selbstzweck wird und wir nicht die Anhaftung daran unterschätzen. Natürlich kann der äußere Rahmen „schön“ sein, vielleicht auch noch ein klein wenig hilfreich, aber die innere Einstellung und das innere Geschehen sind weitaus wichtiger.

 

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